STI? Echt jetzt? Vielleicht hast Du gedacht, dass sexuell übertragbare Infektionen (STIs) dank moderner Medizin kaum noch ein Thema sind. Leider zeigen aktuelle Zahlen ein anderes Bild: Geschlechtskrankheiten erleben in Europa ein überraschendes Comeback. Chlamydien, Gonorrhö (Tripper) und Syphilis sind auf dem Vormarsch und das schneller als viele vermuten würden. Weltweit steckt sich laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) über eine Million Menschen pro Tag mit einer STI an. Und auch in Europa schießen die Infektionszahlen in die Höhe. Was ist da los? Wir schauen uns die neuesten Daten an, erklären die Gründe für den Anstieg und zeigen Dir, wie Du Dich schützen kannst.

Alarmierende Zahlen in Europa und Deutschland

Schauen wir zuerst auf die aktuelle Datenlage. Europa verzeichnet so viele STI-Fälle wie nie seit Beginn der Aufzeichnungen. 2023 wurden in Europa fast 100.000 Gonorrhö-Fälle gemeldet – das entspricht einem Anstieg von 31 % gegenüber 2022 und sogar über 300 % mehr als 2014. Damit erreichte Tripper in Europa den höchsten Stand seit Beginn der ECDC-Überwachung im Jahr 2009. Syphilis-Fälle stiegen ebenfalls deutlich: 2023 gab es rund 40.000 bestätigte Syphilis-Infektionen in Europa, 13 % mehr als im Vorjahr und doppelt so viele wie 2014. Und obwohl Chlamydien die am häufigsten gemeldete bakterielle STI in Europa bleiben, flachte ihr Anstieg etwas ab – mehr als 230.000 Fälle wurden 2023 gemeldet, nur 3 % mehr als 2022 (immerhin +13 % seit 2014). Diese Zahlen stammen vom Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) und untermauern einen besorgniserregenden Trend:

STIs sind wieder auf dem Vormarsch

Auch in Deutschland zeigen die Daten einen ähnlichen Trend. Hier wird vor allem Syphilis behördlich erfasst – und die Infektionszahlen erreichen regelmäßig neue Rekorde. 2022 wurden laut Robert Koch-Institut (RKI) 8.305 Syphilis-Fälle gemeldet, ein Anstieg um 23 % gegenüber dem Vorjahr und so viele wie nie zuvor. Nach dem Ende der Corona-Lockdowns schossen die Zahlen damit sprunghaft in die Höhe. 2023 ging der Aufwärtstrend weiter: Das RKI registrierte 9.090 Syphilis-Neuinfektionen – ebenfalls ein Höchststand seit Einführung der Meldepflicht im Jahr 2001. Zum Vergleich: Anfang der 2000er lag die jährliche Fallzahl noch unter 2.000. Anders ausgedrückt: In zwei Jahrzehnten hat sich die Zahl der Syphilis-Infektionen in Deutschland fast verfünffacht. RKI-Daten zeigen seit 2010 (mit Ausnahme der Pandemie-Delle 2020/21) einen kontinuierlichen Anstieg, besonders in Großstädten wie Berlin, Köln oder Frankfurt. Aber auch Nürnberg und München hatten hohe Inzidenzen vorzuweisen. Bayern hatte als Bundesland einen weiteren bundesweiten Rekord: Es gab den höchsten Anstieg der Inzidenz im Vergleich zum Vorjahr – mit 52,5 Prozent Syphilis ist hierzulande zwar nach wie vor häufig bei Männern, die Sex mit Männern haben, verbreitet sich inzwischen aber auch wieder vermehrt unter Heterosexuellen und sogar in älteren Altersgruppen. Kurz: Geschlechtskrankheiten machen keinen Halt vor bestimmten Gruppen – alle sollten aufhorchen.

Warum explodieren die STI-Zahlen gerade?

Die Frage aller Fragen ist: Woran liegt es, dass Chlamydien, Tripper und Syphilis wieder so stark zunehmen? Gesundheitsexpert*innen machen hierfür kein einzelnes Ereignis, sondern ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren verantwortlich. Hier die wichtigsten Ursachen im Überblick:

Mehr Tests – mehr Meldungen

Ein Teil des Anstiegs ist positiv zu erklären: Es wird mehr getestet. Nach Corona haben viele ihre Gesundheitsvorsorge nachgeholt, und es gibt inzwischen breiter verfügbare Tests. Je mehr Menschen sich testen lassen, desto mehr Infektionen werden entdeckt – auch solche ohne Symptome. Das ist zwar gut, verfälscht aber den Vergleich mit früher, als weniger getestet wurde.

Weniger Kondome, sorgloserer Sex

Gleichzeitig scheint riskanteres Sexualverhalten zuzunehmen. Immer weniger junge Leute benutzen Kondome, warnte die Weltgesundheitsorganisation Europa 2024 alarmiert. Bei 15-Jährigen sank der Kondomgebrauch zwischen 2014 und 2022 von ~70 % auf ~60 %. Auch viele Erwachsene verlassen sich heute eher auf die Pille oder auf HIV-Prävention (Stichwort PrEP) und verzichten auf Kondome – was gegen Schwangerschaft hilft, aber nicht vor STIs schützt. Die Folge: Höhere Ansteckungsgefahr für Chlamydien, Gonokokken & Co.

Dating-Apps und mehr Partner*innenwechsel

Das RKI nennt auch die Rolle von Dating-Apps als möglichen Treiber für steigende Infektionszahlen. Apps wie Tinder oder Grindr ermöglichen es, schnell und anonym neue Sexualpartner*innen zu finden – längst nicht mehr nur in Großstädten. Häufigere Partner*innenwechsel erhöhen statistisch das Risiko, in Kontakt mit einem Infektionserreger zu kommen.

Symptome? Fehlanzeige!

Viele STI-Infektionen bleiben oft unbemerkt, weil keine oder nur unspezifische Symptome auftreten. Zum Beispiel verläuft eine Chlamydien-Infektion bei den meisten Frauen symptomlos, und Syphilis kann lange in eine symptomfreie Latenzphase gehen. Ohne Symptome lassen sich Infektionen unbewusst weitergeben, wenn keine Tests gemacht werden. So kann sich ein Ausbruch “unsichtbar” weiter ausbreiten.

Nachholeffekt nach Corona

Während der Lockdowns 2020/21 gingen STI-Fälle zeitweise zurück – weniger soziale Kontakte, weniger Gelegenheiten. Doch mit Aufhebung der Beschränkungen kam es zu einer “Nachholwelle”: 2022 schossen z.B. in Deutschland die Syphilis-Fallzahlen sprunghaft in die Höhe (+23 %). Ähnliches wurde in vielen Ländern beobachtet. Die zeitweise gedrückten Zahlen haben also einen Teil des aktuellen Anstiegs nur aufgeschoben.

Tabus und Aufklärungslücken

Noch immer sind Geschlechtskrankheiten ein Tabuthema. Das führt dazu, dass viele Menschen wenig darüber wissen, Risiken unterschätzen oder sich schämen, darüber zu reden. Insbesondere bei älteren Semestern wird Safer Sex oft vernachlässigt – Sex im Alter findet meist ohne Kondom statt, da eine Schwangerschaft ja kein Thema mehr ist. Experten beobachten, dass sich immer mehr Menschen über 50 anstecken. Unterschätztes Risiko + fehlende Vorsicht = steigende Infektionszahlen in dieser Altersgruppe.

Wie Du siehst, gibt es nicht die eine Ursache. Vielmehr treffen verändertes Sexualverhalten, gesellschaftliche Trends und verbesserte Diagnostik zusammen – mit dem Ergebnis, dass die offiziellen STI-Zahlen derzeit durch die Decke gehen. Wichtig: Diese Entwicklungen sind kein Grund für Panik, aber definitiv ein Weckruf, sexuelle Gesundheit wieder ernster zu nehmen.

Sind STI Gefährlich? Ja – aber Wissen hilft!

Manche fragen sich vielleicht: Wie schlimm sind Chlamydien, Gonorrhö und Syphilis überhaupt? Alle drei Infektionen werden durch Bakterien ausgelöst und lassen sich zum Glück mit Antibiotika heilen, sofern sie früh erkannt werden. Unbehandelt können STIs jedoch ernsthafte Folgen haben: Beispielsweise können aufsteigende Chlamydien- oder Gonorrhö-Infektionen zu Unfruchtbarkeit führen, etwa durch Eileiterentzündungen bei Frauen. Syphilis kann im Spätstadium Organe schädigen (Herz, Gehirn) und in der Schwangerschaft zu Tot- oder Fehlgeburten führen. Die gute Nachricht: Bei rechtzeitiger Behandlung lassen sich diese Komplikationen praktisch immer verhindern. Deshalb betonen Fachleute immer wieder, wie entscheidend Aufklärung, Tests und frühe Therapie sind. Mit dem richtigen Wissen musst Du keine übertriebene Angst haben – aber solltest eben Bescheid wissen und Vorsorge ernst nehmen.

So schützt Du Dich: Tipps für Prävention und Tests

Angesichts der steigenden Zahlen lautet die Devise: Informieren und vorbeugen statt ignorieren. Zum Glück kannst Du selbst einiges tun, um Dich und andere zu schützen, ohne auf ein erfülltes Sexleben zu verzichten. Hier die wichtigsten Safer-Sex- und Vorsorge-Tipps:

Kondome benutzen

Ja, es klingt banal – aber Kondome sind und bleiben der einfachste Schutz vor den meisten STI. Richtig angewendet verringern Kondome das Ansteckungsrisiko drastisch. Sie schützen vor HIV, Gonorrhö, Chlamydien, Syphilis und ungewollten Schwangerschaften. Wichtig: Beim Geschlechtsverkehr immer nutzen, insbesondere bei neuen oder wechselnden Partner*innen. (Beachte: Gegen viele STI bieten Kondome zwar keinen 100%igen Schutz, da die Bakterien über Schleimhäute oder Hautkontakt übertragen werden können. Trotzdem senkt konsequente Kondomnutzung das Risiko erheblich.)

Regelmäßig testen – auch ohne Symptome

Wer sexuell aktiv ist, vor allem mit wechselnden Partner*innen, sollte regelmäßig einen STI-Test machen. Viele Infektionen bleiben lange unbemerkt, daher lieber einmal mehr prüfen. Sprich mit Ärzt*innen über STI-Tests – diese können Urin-, Blut- oder Abstrichtests auf Chlamydien, Gonokokken, Syphilis, HIV etc. umfassen. Es gibt natürlich auch STI-Selbsttests für zuhause, wie auch bei uns im Shop, die Du anonym durchführen kannst. Solche Heimtests können eine erste Orientierung bieten (z. B. wenn Du Dich scheust, direkt zu Ärzt*innen zu gehen). Wichtig bleibt: Ein positives Ergebnis sollte immer durch einen Labortest bestätigt werden, um Fehlalarme auszuschließen und schnell die richtige Behandlung einzuleiten.

Bei Anzeichen sofort zum Arzt oder Ärztin

Sollte Dir irgendetwas Ungewöhnliches auffallen – z. B. Brennen beim Wasserlassen, Ausfluss, Hautausschläge im Genitalbereich oder anderswo, kleine Geschwüre, Fieber nach ungeschütztem Sex – dann nicht zögern! Geh sofort zum Arzt oder zu einer Ärztin und sprich offen über den Verdacht auf eine STI. Je früher behandelt wird, desto besser. Viele Therapien sind simpel (oft genügt eine Antibiotika-Einnahme) und verhindern schlimmere Folgen. Außerdem schützt Du so Deine Partner*innen, indem die Infektionskette frühzeitig unterbrochen wird.

Offen kommunizieren & Sexualität entstigmatisieren

Es mag unangenehm sein, aber: Sprich mit Sexualpartner*innen über Tests und Gesundheit. Ein ehrliches Gespräch („Wann war dein letzter Test? Können wir uns beide testen lassen, bevor wir auf Kondome verzichten?“) schützt am Ende Euch alle. STI sind nichts, wofür man sich schämen muss – sie können jede*n treffen, der sexuell aktiv ist. Je normaler wir über Geschlechtskrankheiten reden, desto eher lassen sich Ausbrüche verhindern. Scham und Schweigen sind der Nährboden, auf dem Infektionen sich ausbreiten. Also trau Dich, das Thema anzusprechen. Verantwortungsbewusstsein ist sexy!

Wissen, wo es Hilfe gibt

Informiere Dich über Beratungsstellen und Testangebote in Deiner Nähe. In vielen Städten gibt es anonyme Checkpoints oder Gesundheitsämter, die kostenlose Tests anbieten. Auch online findest Du seriöse Informationen – zum Beispiel beim RKI, der Deutschen Aidshilfe, der WHO oder auf Gesundheitsportalen. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bietet mit ihrer Kampagne Liebesleben umfangreiche Infos und Materialien für alle Altersgruppen an und eine Karte durch die du alle Teststationen in deiner Nähe findest. Wissen ist Macht – nutze es.

Fazit: Zeit für einen offenen Umgang mit STI

STIs sind auf dem Vormarsch, aber wir sind dem nicht hilflos ausgeliefert. Die steigenden Infektionszahlen in Europa sind ein deutliches Signal, wieder mehr über Safer Sex, regelmäßige Tests und verantwortungsvolles Verhalten zu reden. Es ist heute einfacher denn je, sich auf Geschlechtskrankheiten testen zu lassen – sei es beim Arzt/einer Ärztin oder mit einem Selbsttest zuhause. Auch die Behandlungsmöglichkeiten sind da, man muss sie nur rechtzeitig nutzen. Jeder von uns kann dazu beitragen, die Trendwende zu schaffen: durch Aufklärung, Schutz und Entstigmatisierung. Wenn wir offen über sexuelle Gesundheit sprechen und verantwortungsbewusst handeln, haben Chlamydien, Tripper und Syphilis bald keine Chance mehr „durch die Decke zu gehen“. Also, lass uns darüber reden und gemeinsam dafür sorgen, dass Safer Sex wieder selbstverständlich wird – Deiner Gesundheit zuliebe!